Woche 43: Geburtstagswoche

Diese Woche hatte ich Geburtstag. Eigentlich feiere ich das ja nicht mehr, aber diese Jahr habe ich noch kaum Freunde zu Besuch gehabt, da dachte ich, die Gelegenheit greife ich beim Schopf. Vor einem Monat etwa habe ich also alle norwegischen Freunde eingeladen, aber weil die meisten in Oslo wohnen, und viele kein Auto haben, habe ich fast nicht damit gerechnet, das jemand kommt.

Wir waren am Ende zu fünft, und es war sehr nett. Wir haben wie in alten Zeiten Bluff gespielt, und ein wenig Overcooked, was außer mir niemand kannte, weshalb das sehr chaotisch wurde. Ich liebe dieses Spiel! Ich habe morgens vor der Party noch einen Apfelkuchen gezaubert, den wir mit Vanilleeis gegessen haben, und abends gab es ein Linsengericht (und das übliche “wie, kein Fleisch?”).

Statt wie früher am nächsten Tag hinter jedem Sofa noch eine Pfandflasche zu finden, habe ich diesmal nur die Spülmaschine mit allen meinen kleinen Schüsseln voll gestapelt. Mit dem Alter essen wir wohl alle mehr, und trinken gemäßigter. Schön, dass es wohl allen geschmeckt hat.

Ansonsten diese Woche: Termin für ein EEG am Mittwoch gehabt, um zu bewerten, ob ich meine Medizin weiter nehmen muss. Das Krankenhaus hat mich auf dem Hinweg zu erreichen versucht, aber weil die Person am anderen Ende nur gestammelt hat, und ich die Nummer eh nicht kannte, kam es zu keinem Gespräch. In der Klinik angekommen wurde mir dann erklärt, dass die EEG Abteilung wegen Krankheit geschlossen sei, mein Gespräch mit dem Neurologen eine Stunde später aber doch stattfinden würde. Ich war zum Glück auf Wartezeiten vorbereitet, und habe die Stunde über im Wartezimmer gearbeitet. Pro Tipp: Das Krankenhaus-WLAN ist nicht für größere Software-Updates dimensioniert, die macht man lieber daheim. Da es keine EEG-Resultate zu besprechen gab, war das Gespräch mit dem Neurologen dann nicht sonderlich ergiebig. Es war ein neuer, der mich von meinem vorherigen Arzt übernommen hatte, und so konnten wir wenigstens ein wenig das beliebte Kennenlernspiel machen, wo er mir erzählt, was er aus meinem Journal über mich weiß, und ich das dann korrigiere.

Heute habe ich zum ersten Mal in meinem Leben die Zeitumstellung verpasst. Das liegt an genau zwei Uhren in meinem Haus: Die Uhr am Herd, die man manuell umstellen muss, und mein Wecker am Bett. Das ist eigentlich ein Funkwecker, aber den habe ich in Deutschland gekauft, und er sucht jetzt seit zwanzig Jahren vergeblich nach einem Signal aus Frankfurt. Es gibt einen Trick, wie man ihn manuell einstellen kann, aber dafür muss man natürlich am Abend vor der Zeitumstellung dran denken, und sich erinnern, wie der Trick funktioniert. Die Anleitung habe ich nämlich in den Neunzigern mal in einem Hotel in Brasilien liegen gelassen.

Aktueller Status:

dav

Woche 42: Empörung über Veganer?

Mit unnötiger Empörung über Dinge, die der Aufregung nicht wert sind, kann ich ja nicht so. Gestern bin ich wieder auf eine Prüfung gestellt worden.

Es war, wie jeden zweiten Samstag, Programmieren lernen für Kinder in der Bibliothek. Diesmal waren wir drei Erwachsene Instrukteure, weil Connie es geschafft hat. Connie kann anstrengend sein, nicht nur wenn sie von den Strapazen ihres Bürojobs erzählt, sondern vor allem, weil sie in Leerzeiten, wo gerade kein Kind eine Frage beantwortet haben will, auf ihrem Handy durch die norwegischen Tabloide blättert, und sich dann lautstark über das eine oder andere mokiert. Gestern waren das zuerst Menschen, die ein Nudelsieb als religiöse Kopfbedeckung tragen*, und danach Veganer. Laut ihrem Handy meinte der Präsident der Veganerpartei** wohl, Fleisch essen sei so schlimm wie Kinder vergewaltigen. Wieso regt man sich über so etwas auf? Dass es immer wieder Menschen gibt, die auf der Suche nach Aufmerksamkeit geschmacklos übertreiben (in den USA ist das z.B. PETA), sollte doch langsam bekannt sein? Man schenkt denen einfach keine Aufmerksamkeit, weshalb ich z.B. solche Schmierblätter vermeide. Es half der Sache auch nicht, dass wir nur den reißerischen Titel des Artikels lesen konnten, weil man für den Rest bei norwegischen Zeitungen immer erst ein Jahresabonnement abschließen muss. Das hat Connie aber nicht davon abgehalten, über “diese Veganer” zu fluchen. Als beinahe lebenslanger Vegetarier und mehrjähriger Veganer kann ich ja überhaupt nicht gut ab. Es gibt halt ein paar schlimme, die machen den Ruf kaputt, so wie es Autofahrer gibt, die im Radweg parken, weshalb ich aber auch nicht gleich über “die Autofahrer” im Allgemeinen fluche.

Veganer tun nun wirklich niemandem etwas (außer möglicherweise geschmacklose Vergleiche zu ziehen), wenn man sich über etwas empören will, gibt es schlimmeres auf der Welt.

Ich würde mir natürlich auch wünschen, dass weniger Vegetarier ihre Diät als eine Heilsbotschaft ansehen, weil ich durch sie per Assoziation in Erklärungsnöte komme, so wie ich mir wünsche, dass Radfahrer mit Licht fahren, und nicht bei Rot über die Ampel.

Ansonsten war es sehr ruhig gestern, nicht viele Kinder gekommen, und viele davon mit Eltern, was ich schön finde, denn dann gucken die nicht die ganze Zeit auf unseren Rechnern Youtube-Videos oder spielen Sachen, die ihnen daheim nicht erlaubt sind. Zwei Jungs hatten wir aber auch, die sich direkt jeder einen Laptop gekrallt und ins Betreuer-Sofa geschmissen haben, um dann (immerhin mit Kopfhörer) Overwatch- und Beta Saber Videos zu gucken, und sich dabei gegenseitig aufzuziehen. Das ist nicht der Sinn unserere Aktion, dafür stehe ich Samstags nicht so früh auf.

Vielleicht war ich auch nur knurrig, weil ich gerade erst zwei Nächte kaum geschlafen hatte, gegen Ende der Woche hatte sich nämlich mal wieder ein Gallenstein auf den Weg gemacht. Scharfe Bohnen in Tacos sind also bis auf weiteres auch vom Speiseplan verbannt.

Vogel der Woche: Ein Kormoran, der sich auf den Steg vorm Haus gesetzt hat, und toll zu sehen war, wie er seine Flügel ausgebreitet hatte, um sie zu trocknen.


* Ja, es gibt immer noch Menschen, die das fliegende Spaghettimonster nicht kennen. Genug, als das man 2018 noch für die einen Artikel darüber in einer Zeitung schreiben kann. Und wenn man dann humorbefreit oder streng protestantisch ist, kann man das schrecklich finden.

** Mir war nicht klar, dass es eine Veganerpartei gibt, das war der Teil an der Geschichte, den ich am spannendsten gefunden hätte. Spätere Nachforschung hat dann ergeben, dass die aus Dänemark sind, und nichts zu sagen haben.

Woche 41: Herbst

Diese Woche war ich viel im Garten, während der Mittagspausen und sonst, wenn es noch hell war. Ich habe die letzten Äpfel geerntet, und für den Winter im Schuppen gelagert. Das letzte Fallobst ist wieder zu einem leckeren Kuchen verarbeitet worden, und mein Wohnzimmer sieht fast wieder normal aus.

Pappstiegen mit gelagerten Äpfeln
Nachdem mir die Kartons ausgingen, habe ich die Äpfel in Papiertüten gelagert, ist ein Experiment.

Außerdem werden bald Gartenabfälle abgeholt, da ist es an der Zeit, das ganze Totholz aus den Büschen und Bäumen zu schneiden, und mit dem Heckenschnitt vom Sommer in die großen Papiersäcke zu stecken. Das ist schön beruhigende Arbeit, die kann ich gerne mitten im Arbeitstag mal eine halbe Stunde lang machen.

Am Mittwoch war ich im Büro, denn ich kann ja nicht nur noch von daheim arbeiten. Mein Kollege H ist aus dem Urlaub zurück, so dass ich nicht alleine da war. Außerdem hat das Büro neue Nachbarn. Wir hatten vorher doppelt so viel Platz, wie wir selbst bei voller Anwesenheit nutzen könnten, und jetzt hat der Vermieter uns die Miete gesenkt, dafür dass in die Hälfte der Räume eine andere Firma einzieht. Die haben dabei leider unsere Küche gekriegt, und in unserem Teil soll eine neue gebaut werden, weshalb momentan alles Kraut und Rüben ist. Das Netzwerk auch, denn die neuen Mieter kriegen ihr Internet jetzt von uns. Aber mit ein paar Handgriffen hatte ich innerhalb einer Stunde wieder WLAN und Kaffee, auch wenn ich gewarnt wurde, auf keinen Fall Mikrowelle und Kaffeekocher gleichzeitig zu benutzen, falls die Sicherungen das evtl. nicht aushalten, denn die Frau mit dem Schlüssel zum Sicherungskasten sei noch eine Woche im Urlaub. Wir haben vorsichtig gekocht, und es ohne Stromausfall durch den Tag geschafft.

Freitag Abend war ich bei einem Vortrag über archäologische Aktivitäten der letzten Jahre in Tønsberg, das war ganz interessant, obwohl der Redner mehr eine Auflistung von Projekten gemacht hat, und mir eine Einordnung in ein größeres Bild gefehlt hat.

Ansonsten habe ich mich diese Woche mal wieder über Bewerbungsportale geärgert. Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, mal meinen Marktwert zu prüfen, indem ich zu ein oder zwei Jobinterviews gehe, weil ich auch gerade etwas passendes auf dem Job-Radar gefunden hatte, aber alle Firmen hier stellen ihre Mitarbeiter über Personalfirmen ein, die erwarten, dass man seinen kompletten Lebenslauf noch einmal in ihre eigenen Formulare tippt, und das nervt total. Außerdem wird man dann anschließend ständig mit unpassenden Angeboten zugemüllt, weil die den Unterschied zwischen Java und Javascript nicht verstehen, und nicht einsehen, dass ich nur an dem einen Job interessiert war, auf den ich mich beworben habe. Aus so einer Datenbank kommt man nie wieder raus (obwohl hier ja GDPR und das Recht auf Vergessen ziehen sollten).

So richtig sicher bin ich mir auch nicht, ob ich überhaupt einen anderen Job will. Das ist sehr von der Stimmung abhängig. Einerseits glaube ich, dass ich mehr wert bin als ich bekomme, und mein Chef ist an Gesprächen über eine Gehaltsangleichung nicht interessiert. Andererseits ist der Job sehr bequem – ich arbeite 80% der Zeit von daheim, in einem Gebiet, wo ich mich auskenne und wohl fühle. Aber ich hätte auch gerne mehr Kollegen, mit denen ich mich austauschen könnte, von denen ich etwas lerne, und überhaupt fühlt es sich nach Stillstand an, was ich hier treibe. Und ob die Firma noch bis zu meiner Pensionierung existiert, oder ich mit über 50 plötzlich wieder auf Jobsuche bin, kann ich auch nur schwer beurteilen. Ich schwanke ständig zwischen Komfort und Sicherheitsbedürfnis, und je nach Laune ist es das eine oder andere was mir Sorgen macht. Montag werde ich mal versuchen, den Chef zur Rede zu stellen, was denn nun mit dem versprochenen neuen Kollegen ist. Über mein Gehalt zu reden ist mir unangenehm, aber “ich habe da ein Angebot von anderswo” ist auch immer fies.

 

Woche 40: Gift und Galle

Seit Weihnachten plane ich jetzt, etwas gegen meine Gallensteine zu unternehmen. Ich habe an manchen Tagen höllische Schmerzen nach dem Essen, die zu 24 Stunden totaler Untauglichkeit führen, das muss aufhören. Anfangs wusste ich nicht, woran es liegt, hatte aber dank Google halt schon eine gute Ahnung. Ich bin also zum Hausarzt, der sofort die selbe Ahnung hegte, und mich an einen Spezialisten überwiesen hat, um eine Ultraschall Untersuchung zu machen. Nachdem eine Weile ins Land geht, bekommt man dann hier in Norwegen einen Brief mit dem Termin, der in der Regel ein paar Wochen bis Monate in der Zukunft liegt, und irgendwann im April oder Mai hat der Ultraschall Experte mir Bilder von einem ganzen Rudel Gallensteine gezeigt, die nur darauf warten, sich mit dem nächsten fettigeren Essen in meinen Darm zu stürzen. Er hat mir dann zu einer OP geraten, bei der die Gallenblase entfernt wird, etwas anderes sei da nicht zu machen, und die Gallenblase ist auch eher unnötig, kann also weg. Die OP müsse aber von meinem Hausarzt beantragt werden.

Mit dem Ergebnis bin ich also wieder zum Hausarzt, der mir auch zu einer OP riet, und die dann auch beantragen wollte. Die erneute Überweisung, diesmal zum Krankenhaus das die OP durchführen soll, ist im Juni ausgestellt worden, und im Juli bekam ich einen Brief mit Einladung, das ich Ende August doch kommen sollte.

Im August sind in Norwegen natürlich Ferien, das hätte auch den Planern beim Krankenhaus klar sein sollen, deshalb bekam ich dann Mitte August einen Brief in dem stand das “unvorhersehbare Gründe” zu einer Verlegung meines Termins auf Mitte November geführt hätten. Das passierte dann im November noch ein zweites Mal, obwohl gar keine Ferien mehr warne, aber am 3. Oktober hat es geklappt.

Auch wenn man mir mehrfach zugesichert hatte, dass so eine OP eine einfache Angelegenheit ist, und ich höchstwahrscheinlich noch am selben Tag wieder entlassen würde, habe ich für eine Übernachtung gepackt, und mir riesigen Stress gemacht. Dann die Ernüchterung: Ich komme ins Krankenhaus, und ein freundlicher junger Arzt bittet mich in sein Zimmer für eine Konsultation. Das ich mit der Hoffnung zu ihm kam, heute eine OP zu haben, hat ihn verwundert. Es müsse doch erst eine Konsultation stattfinden, und überhaupt, da wäre noch ein Packen Formulare auszufüllen. Das wäre bei jeder OP so.

Ich erzählte dem staunenden Arzt dann, dass sich das mit meiner Erfahrung aus anderen norwegischen Krankenhäusern überhaupt nicht deckt. Bei meiner Hirntumor-OP bin ich direkt in die Chirurgie eingeladen worden, wo es sofort zur Sache ging, und überhaupt, mein Hausarzt hat ja mit mir schon über die Risiken gesprochen, und alles was auf diesem Formular auszufüllen wäre (Medikamente, Allergien, frühere OPs), steht ja in meiner Patientenakte drin. Ja, das wäre wohl richtig so, aber es ist halt Vorschrift, dass der Patient von einem Experten beraten wird, und in diesem Krankenhaus macht man keine OP ohne Formular.

Ich habe mir also noch einmal die Risiken angehört, bestätigt, dass ich die OP immer noch möchte, und das Formular ausgefüllt. Aber warum konnte man mir so ein Formular nicht vorab in der Post schicken? Und warum steht in diesen Briefen nur, wann und wo ich einen Termin habe, aber nicht, wozu der Termin ist?

Ich war dann doch etwas enttäuscht, dass ich immer noch nicht durch bin mit der Prozedur. Bei der Geschwindigkeit, die das Gesundheitswesen hier an den Tag legt, bekomme ich die Einladung zum echten OP-Termin vielleicht noch gerade vor Weihnachten, und mit Glück ist die Gallenblase dann nächstes Jahr irgendwann draußen.

Zu Hause wieder angekommen fand ich im Briefkasten Post vom Krankenhaus: Mein Termin für das EEG am Montag kann aus Gründen (ich schätze mal, Herbstferien) leider nicht eingehalten werden, und ist auf nächsten Monat verlegt…

So viel mal zu dem tollen Gesundheitswesen in Norwegen. Immerhin hat die Sache nichts gekostet, denn ich habe neulich das jährliche Limit von 2500 Kronen (ca. 150 Euro) für Eigenanteile für Arztbesuche und rezeptpflichtige Medizin überschritten, da ist der Rest des Jahres umsonst. Wäre schön, wenn da auch noch die OP mit rein fallen könnte, aber so lang ist das Jahr wohl nicht mehr.

#WMDEDGT Oktober 2018

#WMDEDGT ist eine Idee von Frau Brüllen zur Förderung der Kultur des Tagebuchbloggens.

Ich habe für meine Verhältnisse gut geschlafen, bin nur einmal in der Nacht aufgewacht.

Um 7:40 klingelt mein Wecker, ich bin aber schon 5 Minuten früher wach, und erinnere mich, dass ich heute zum ersten mal bei #WMDEDGT mitmachen will. Während ich noch drüber grüble, dass das als Akronym nicht wirklich leicht von der Zunge rollt, geht der Alarm, und ich ins Bad. Medizin nehmen, anziehen, Treppe runter zum Frühstück.

Mein Frühstück ist wie die meisten Tage eine Tasse Kaffee und eine Schüssel gekochter Haferbrei, mit Rosinen und Apfelmus aus eigenem Garten, von dem ich dieses Jahr literweise gekocht habe, so dass mir fast die Gläschen ausgegangen sind. Seit heute ist aber wieder eins frei. Während ich esse, lasse ich die erste Kanne Tee für den Tag ziehen*.

Auch schon während des Frühstücks kommt Besuch: Linus, der kleine Kater aus der Nachbarschaft, spaziert durch die Katzenklappe ins Wohnzimmer und bedient sich beim Futterspender von meinem Kater Rufus. Das habe ich mir selbst zuzuschreiben, weil ich mir erst nicht viel dabei gedacht habe, als er vor ein paar Monaten das erste Mal kam, und mit Rufus gepielt hat. Er ist ein ganz niedlicher, lässt sich von jedermann streicheln und auf den Arm nehmen, und jagt sogar rote Lichtpunkte. Noch ein richtiges Kätzchen ist der. Aber er frisst halt bei mir, und das soll er lieber daheim tun, sonst ist er irgendwann nur noch hier. Die Besitzer hatten sich schon gewundert, bis wir auf Facebook in der Inselgruppe zueinander Kontakt gefunden haben**. Also greife ich jetzt zur Sprühflasche und verscheuche ihn, und er kommt nur noch in der Nacht zum fressen, was ich am gestiegenen Verbrauch sehen kann. Er sitzt dann auf der Veranda und wartet drauf, dass sein Freund zum spielen kommt, oder dass ich verschwinde.

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Nachbarkater Linus sitzt auf der Veranda vor der Katzenklappe.

Um viertel nach Acht bin ich fertig mit Frühstücken, und mit der ersten Tasse Tee im Homeoffice angekommen. Freitags arbeite ich von daheim, weil unser Büro in Drammen liegt, und die 3 Stunden Fahrerei mit den Öffentlichen reine Zeitvergeudung sind. Mein Internet ist hier besser, meine Kollegen sind in Oslo und Amsterdam, und der Kollege aus Drammen ist die meiste Zeit krank, aber diese Woche auch noch im Herbsturlaub.

Als erstes muss ich mal meinen eigenen PC abschalten, denn der ist über Nacht aus dem Standby aufgewacht. Das macht er gelegentlich, und ich habe noch nicht raus, ob es da ein Muster gibt, oder woran es liegen kann (außer natürlich an Windows). Dann aktiviere ich das Macbook für die Arbeit, denn ich halte privat und beruflich streng getrennt, wie sich das gehört, auch wenn das bedeutet, dass auf meinem Schreibtisch vor lauter Tastaturen, Mäusen und Laptops kein freier Platz ist. Entsprechend oft laufe ich jeden Tag ins Erdgeschoss, um mir neuen Tee oder etwas zu knabbern aus der Küche zu holen.

Mein Büro: ein Stuhl, ein Tisch, drei Monitore, Computer
Nicht abgebildet: Der Firmenrechner, der den letzten noch verfügbaren Platz belegt.

Ich bin Software-Entwickler, und heute ist ein normaler Arbeitstag, das heißt, ich habe eine Liste mit Dingen, die entweder kaputt sind oder neu gebaut werden sollen. Was ich genau mache, ist nicht so leicht erklärt, meine Familie weiss auch nur, dass das “was mit Computern” ist, aber ich versuche es mal: Unsere Firma macht Webhosting, und zwar in der Regel für Leute mit Online-Shops, die auf einem in PHP geschriebene CMS*** wie WordPress basiert sind. Wir sind etwas teurer als die Konkurrenz, dafür sind unsere Server weniger dicht mit Kunden bepackt, und erheblich schneller. Unsere Profis kümmern sich darum, dass der Server 24 Stunden am Tag erreichbar ist, die Software immer auf dem letzten Stand, und im Fall, dass mal etwas schief geht, der Kunde davon hört. Ich bin einer von zwei Vollzeit-Entwicklern, der andere ist der Kollege im Urlaub, der aber auch aus historischen Gründen noch Systemadministration macht, weil er die Firma mit gegründet hat, und weiß, wie alles funktioniert. Mein Chef E. sitzt in Amsterdam, und sucht von dort aus nach potentiellen Kunden, verkauft denen unseren Service, und hilft ihnen beim Einzug. Auch das ist historisch so entstanden, genau wie die Webseite, die den Kunden dabei hilft, sich einen Webserver einzurichten, da ihre Site aufzuspielen, SSL-Zertifikate zu kaufen, oder eigene Domänen anzulegen. Die Software dafür, das “Control Panel”, basiert auf einem CMS namens Drupal, von dem ich bis vor zwei Jahre auch noch nie gehört hatte. Aber es ist in PHP geschrieben, und PHP kann ich super gut.

Mein Job diese Woche sollte sein, dass unsere Administratoren die Server, die in unseren Rechenzentren stehen, einem Kunden zuordnen können, der dann exklusiv darauf Zugang hat, und dessen Software sich den nicht mit anderen teilen muss. Dazu gab es schon eine existierende Lösung, die ist aber von meinem Vorgänger geschrieben worden (oder vom Chef) und ist Mist. Da man das nicht in einem Tag aus dem Ärmel schüttelt (wir werden noch sehen, warum), ist da eine langsame Migration von der existierenden Lösung zu meiner neuen geplant, an der ich seit Montag arbeite.

Gestern habe ich quasi mitten im Gedanken aufhören müssen, und wenn das passiert, mache ich mir zum Feierabend Notizen dazu, was noch alles fehlt. Die lese ich also als erstes, sowie alle meine Mail und den Firmenchat, um zu sehen ob es neue Fehlermeldungen von unserem Support gibt, die vielleicht dringender sind als das, woran ich gerade arbeite. Ist aber nicht, meine Mail heute hat nur ein paar irrelevante Jobangebote, die ich lösche, und eine Nachricht von meinem besten Schulfreund aus Deutschland, die ich mir für heute Abend aufhebe.

Los geht’s! Ehe ich zu etwas komme, lege ich ein neues Ticket an in unserem System, für ein mögliches Feature, das mir gestern noch eingefallen war, weil es das gestern nur in die Notizen geschafft hatte. Ein Testlauf****, den ich über Nacht gemacht habe, hat zwei Fehler in meiner bisherigen Arbeit gefunden, damit fange ich an.

20 Minuten später kommt die erste Ablenkung: Wir benutzen zur Entwicklung eine VM*****, in der die Datenbanken für das Control Panel installiert sind. Wenn sich die Struktur der Datenbank ändert, weil z.B. neue Tabellen für ein Feature gebraucht werden, muss die Entwickler-Maschine die selben Änderungen mitmachen, die auch unser Produktionssystem bekommt. So eine Änderung hat es vor einigen Wochen gegeben, und der andere Entwickler hat sie zwar in der Produktion eingespielt, aber ich nicht in unsere VM. Denn neben der Programmiererei ist es auch meine Aufgabe, diese VM bereit zu stellen für mich, den Chef, wenn er auch gerade mal Lust hat etwas zu “helfen”, denn er hat den Code ja ursprünglich gemacht, und für unseren Frontend-Entwickler T, der in Oslo sitzt und gelegentlich mal Veränderungen an der Optik der Seiten macht. So wie heute, zum Beispiel. Da er seit Monaten keine aktuelle Version der VM mehr bei sich installiert hat, macht er das heute, und es klappt nicht. Ich weiß, dass es nicht klappen kann, weil ja die Datenbank nicht aktualisiert wurde, vertröste ihn auf später, setze mir meinen “Management of Development Infrastructure” Hut auf, und repariere in Handarbeit die Datenbank. Die fertige VM ist eine Datei von etwas über 16 GB, die ich ihm und dem Chef schicken muss, ich kopiere die also auf einen unserer Server in Oslo, und sage ihnen, wo sie zu finden ist. Das dauert bei mir eine halbe Minute, weil ich zu Hause tolles Internet habe, bei meinem Chef zehnmal länger, weil er in einem “richtigen” Büro sitzt.

Beim Chef klappt alles sofort, weil der schon die letzten Änderungen von mir alle brav mitgemacht hat. Bei T geht nichts, weil sein Stand veraltet ist, und auf seinem neuen Macbook alles neu eingestellt werden muss. Wir machen also Ferndiagnose im Chat******. Das ist total ätzend, weil ich so Meldungen kriege wie “es geht nicht”, dann zurück frage, was denn genau die Symptome sind, und fünf Minuten warten muss, bis ich eine Antwort kriege, die ich mit “dann probier mal das hier” beantworte, und so dauert das also echt lange, aber am Ende haben wir es repariert gekriegt.

Zwischendurch versuche ich, meine eigene Arbeit voran zu bringen, aber Multitasking kann ich einfach nicht, wenn einer der Tasks meine volle Konzentration braucht, und in diesem Fall sind das beide. Auf einem halben Hirn kann ich weder Ferndiagnose machen noch programmieren. Ich glaube, das Problem ist, dass die Reparatur für T eine Sache ist, die er neben allem anderen macht, was er sonst so arbeitet – Kundensupport, Telefonate, Marketing, usw., und entsprechend wenig von seiner Zeit fällt für mich ab, weshalb ich so viel Wartezeit habe. Wenn wir in einem Büro zusammen sitzen würden, wäre wahrscheinlich auch ihm klar, wie unhöflich das ist.

Zwischendurch wird es irgendwann zwölf Uhr, da mache ich Mittagspause. Heute gab es bei mir Spaghetti, denn da ist noch so ein Stückchen Roquefort im Kühlschrank, der riecht schon seit einer Weile sehr stark und muss mal weg, kommt also in die Soße. Ist sehr lecker gewesen, und es ist sogar immer noch etwas übrig vom Käse. Zum Nachtisch gehe ich irgendwann in einer Wartepause in den Garten und pflücke mir eine Tüte voller Äpfel vom Baum.

Um halb zwei (!) sind wir fertig, und Thomas kann an seinem Problem arbeiten. Ich könnte jetzt auch endlich mit der (geplanten) Arbeit anfangen, aber erst einmal brauche ich neuen Tee, die erste Kanne habe ich nämlich während der Warterei leer gekriegt.

Als ich wieder im Flow bin, meldet sich T, dass er den Fehler repariert hätte, und muss wissen, wie er ihn in unsere Sourceverwaltung eincheckt. Wir benutzen ein Quellcode-Management namens git, das ist nicht einfach, gehört aber sozusagen zur Grundausstattung jedes Entwicklers. Ich kann das besser als die meisten, und statt es zu lernen, kann man mich ja fragen. Immerhin macht er dann nichts verkehrt, wenn er meinen Anweisungen folgt. Es kommt also zu einer neuen Fernbedienung durch den Chat, wo ich ihm sage, was er tun muss, damit seine Änderung erst einmal auf unserem Testsystem landet, wo der Chef und ich uns ansehen, dass es funktioniert.

Danach beschließen Chef und T, dass sie das gerne in der Produktion haben wollen. Mir stellen sich die Nackenhaare hoch, denn eigentlich haben wir einen festen Zyklus für Releases, und machen die nur alle drei Wochen, denn dafür muss das Control Panel einmal offline genommen werden, alle Benutzer fliegen in der Zeit raus, und wenn etwas schief geht, muss es SOFORT repariert werden, egal ob Feierabend oder Weihnachten ist.

Wir haben aber für ganz schlimme Probleme, die nicht auf das nächste Release warten können, einen Prozess, mit dem man auch zwischendurch mal einen Fehler in der Produktion beheben kann. Es passiert immer mal was. Aber für eine rein kosmetische Verschönerung ist der nicht gedacht, diese Änderung erfüllt nicht die Mindestanforderung für das Risiko und den Aufwand, die das mit sich bringt. Ich bin der einzige, der das kann, und mache das in so einem Fall wie hier nur ungern, habe aber auch gelernt, dass Meckern und auf Prinzipien pochen hier quasi nie hilft. Man kann nur hinterher “I told you so” sagen, und so wirklich befriedigend ist das nicht.

Eine halbe Stunde später habe ich den Bugfix über die notwendigen Hürden gebracht, und unser System ist wieder online. Es ist zwei Uhr Nachmittags, ich habe es irgendwann zwischendurch geschafft, meine Änderungen von gestern so rund zu kriegen, dass ich sie einchecken konnte, und mich um meine kaputten Tests zu kümmern, aber richtigen Fortschritt habe ich noch nicht gemacht. Dafür knurrt mein Magen, aber da war doch noch was von dem Käse?

Gestärkt mit einem Butterbrot fange ich kurz vor drei an, meine eigene Arbeit zu machen. Der Rest von Norwegen macht jetzt gleich Feierabend, aber ich habe mir gerade einen Fehler in den Code gebaut, für den ich Montag den Kontext nicht mehr haben werde, egal wie viele Notizen ich mir mache, deshalb bleibe ich noch etwas dran. Sonst grübelt auch mein Hirn daran noch das ganze Wochenende weiter.

Inzwischen meint auch der Kater, dass jetzt Zeit für seine Fütterung sei. Du bist eine Stunde zu früh da, Kater, aber meinetwegen. Nach Feierabend kriegt er von mir immer sein Weichfutter, das mag er besonders gerne.

Um viertle vor vier stecke ich immer noch fest, Spotify spielt gerade “working in the coal mine”, und das Universum sagt mir, dass ich halt doch aufhören sollte. Weil draussen die Sonne sehr schön scheint, mache ich erst einmal einen Spaziergang quer über die Insel zu unserem Lieblings-Badestrand.

Fotos des Strands auf Husøy.
“Nebba”, die beste Badestelle auf unserer Insel, mit Sprungbrett, Leiter und schwimmender Platform.

Hier war ich schon eine Weile nicht, es hat viel geregnet, und wir hatten meist einstellige Temperaturen. Aber das Wasser fühlt sich nicht so kalt an, wie ich erwartet habe, vielleicht nehme ich nächstes Mal doch noch einmal die Badehose mit? Sogar die Badeinsel ist noch nicht wieder eingeholt worden, die Saison also nicht offiziell zu Ende, obwohl Herbstferien sind.

Auf dem Weg habe ich mein Hörbuch gehört und nach Vögeln Ausschau gehalten, die ich inzwischen auch ohne Buch identifizieren kann: Skjære und Piplerke. Und dann bin ich noch an dem Birnenbaum vorbei gekommen, den niemand erntet. Ein bisschen neidisch bin ich ja, Birnen wären auch mal lecker, und obwohl ich gerade vor Äpfeln nicht mehr weiss, wohin mit dem Kram, würde ich da wohl gerne etwas von ab bekommen. Ich kenne die Leute dort aber natürlich nicht, da bleibt es wohl beim träumen.

Norwegischer Garten mit prächtigem Birnenbaum.
Trotz Herbststürmen haben sich die Birnen an diesem Baum prima gehalten, aber jetzt müsste sie langsam mal jemand ernten.

Mein nicht enden wollender Test ist währenddessen fertig geworden, nach 20 Minuten. Das darf so natürlich nicht sein, aber immerhin hat er keine Fehler gefunden. Vielleicht kann ich dann jetzt um 17:30 Uhr doch endlich Feierabend machen.

Jetzt erst mal ein Schläfchen machen, ich bin gerade sehr relaxed, und erschöpft von einem Tag, wo ich fast nichts von dem geschafft habe, was ich geplant hatte, und für Abendessen ist es mir noch zu früh.

Eine Stunde später ist es dann doch Zeit, etwas zu essen, und ich habe noch von dem Broccoli-Linsen Curry übrig, das ich gestern gekocht habe. Das ist sehr lecker, und sollte auch noch für Morgen reichen.

Die ersten anderen #WMDEDGT Posts treffen schon ein, es ist Zeit, dass ich meine Notizen in einen Artikel verwandle, den ich jetzt noch posten und verlinken werde, und dann werde ich noch eine Weile wach bleiben, und entweder fernsehen oder ein Computerspiel spielen, wahrscheinlich mein eigenes. Um 9 mache ich mich fertig für’s Bett, morgen wird ein anstrengender Tag, an dem ich wieder einmal Kindern die schönen Seiten des Programmierens erklären will.

So ist das Leben als Software-Entwickler in einer kleinen Firma. Zum programmieren kommt man an manchen Tagen überhaupt nicht. Die ständigen Unterbrechungen rauben einem den ganzen Tag, und am Ende steht man mit vielleicht 10 Zeilen neu geschriebenem Code da.

 

* In Norwegen gibt es zwei Sorten schwarzen Tee, Earl Grey oder English Breakfast, beides in Beuteln und nicht lecker. Ich trinke aus Deutschland importierte Ostfriesentee-Mischung, die bei jedem Besuch kiloweise mitgebracht wird.

** Die Insel auf der ich wohne hat ca. 320 Haushalte, und die meisten davon sind in einer eigenen Facebook-Gruppe, wo man nach verlorenen Katzen, Fahrrädern oder Stofftieren fragen kann. Oder eben fragen, wem denn dieser Kater gehört, der da ständig zum Abendbrot kommt.

*** Ein CMS ist ein Content Management System. Das ist eine Datenbank voller Dinge wie Blogposts, Seiten, Produkte, Katalog-Kategorien, Preislisten, usw. je nach Zielanwendung, mit Software und Plugins, die daraus eine Webseite machen. WordPress ist eines der bekanntesten CMS, und mit ein paar Plugins kann man daraus z.B. im Netz einen Blumenladen machen, oder Autoteile verkaufen, oder, oder…

**** Wir machen bei uns TDD, das ist Test-Driven Development. Da programmiert man erst einen automatisierten Test für das geplante Feature, und wenn es fertig ist, soll der das melden. Wenn es kaputt ist, sagt der Test, was kaputt ist. Wenn ich sage “wir machen das”, dann meine ich eigentlich “ich mache das, alle anderen finden es doof”, aber daran arbeite ich noch.

***** Eine VM ist eine “Virtuelle Machine”, quasi ein Computer, der in Software emuliert wird, und sich verhält, als wenn man einen zweiten physikalischen Rechner hat. Das praktische daran ist, dass man diesen Rechner nur einmal installieren muss, und dann beliebig oft kopieren, so dass jeder  Mitarbeiter mit dem gleichen System arbeiten kann.

****** Wir benutzen Rocket Chat, das ist so ziemlich das gleiche wie Slack, also ein Messaging-System im Browser.