Gesundheitswesen, Nachtrag

Nach meiner Geschichte habe ich einige Fragen bekommen, darunter vor allem “warum hat das so lange gedauert? Ist das normal?”.

Zur Einordnung: Ich hatte meine ersten Symptome im Februar 2016. Die OP im Januar 2019, also nach fast drei Jahren. Der Ablauf war in etwa so:

1. Ich war im Februar 2016 über lange Zeit im Krankenhaus zur Bestrahlung. Dabei wohnte ich im Hotel, das ans Krankenhaus angeschlossen ist, das sehr leckeres Essen hatte, und an meinem letzten Abend gab es Lachsfilets, und lauter andere Sachen, die ich gerne mag. Ich habe ausgiebig geschlemmt, und in der Nacht hatte ich schlimme Bauchschmerzen und habe mich übergeben. Da das Krankenhaus direkt ein Stockwerk unter dem Hotel lag, bin ich in die Nachtwache gegangen, habe denen gesagt, was los ist, und mich natürlich gefragt, ob das mit den Strapazen der letzten sechs Wochen Bestrahlung zusammenhängt. Der anwesende Arzt meinte, nein, das sei sicher vorübergehend, hat mir ein Schmerzmittel und eine Schlaftablette gegeben, und noch je zwei Dosen für unterwegs.

2. Es ist dann im Anschluss noch ein paar mal passiert, aber ich habe das immer darauf geschoben, dass mein Auge hungriger ist als mein Magen, und ich mich einfach überfressen hatte. Mit normalen Schmerzmitteln hatte ich die Situation auch meist nach ein bis zwei Stunden Unbehagen im Griff.

3. Zu dieser Zeit hatte ich auch eine Menge andere Stressfaktoren, ich war erst arbeitslos, dann in einem neuen Job, und immer noch über 50% krank gemeldet. Ich habe die Sache also verdrängt, und vorsichtiger gegessen, statt meinem Hausarzt davon zu erzählen. Mein Fehler.

4. 2017 kamen die Anfälle häufiger, und über Weihnachten beim Familienbesuch war es kein Spaß. Ich habe endlich mal meine Systeme im Internet nachgeschaut, und Gallensteine als mögliche Ursache entdeckt. Mit der Vermutung bin ich Anfang 2018 zum Arzt gegangen, der hat sich meine Leiden angehört, und kam unabhängig auf den selben Verdacht. Und sagte mir, dass man da am besten eine OP macht, wenn man das abstellen will. Aber erst einmal muss die Sache gründlich untersucht werden, dafür muss ich zum Spezialisten überwiesen werden, um eine Ultraschall-Untersuchung zu machen. Das hat er in die Wege geleitet.

5. Nachdem das Gesundheitswesen eine Weile gearbeitet habe, bin ich um Ostern herum zum Ultraschall geschickt worden (das Gesundheitswesen arbeite nur auf dem Briefweg), der Techniker hat mir den Bauch beschallt, und auf seinen Schirm gezeigt: Guck mal, du hast enorm viele Steinchen in Deiner Gallenblase. Das tut bestimmt weh. Bei der Menge solltest Du auf jeden Fall eine OP machen, und die Gallenblase entfernen.

6. Mit dem Ergebnis bin ich dann wieder zum Hausarzt, der immer noch meinte, meine beste Lösung sei eine OP. Hier sind sich also alle einig, prima, dann machen wir das. Aber das kann der Hausarzt nicht veranlassen, so eine OP muss von einem Gastrologen angeordnet werden. Zu dem werde ich überwiesen, und nach einer Weile kriege ich einen Termin im August. Weil da aber Sommerferien sind, und in Norwegen niemand in den Sommerferien arbeitet, wird der Termin um einen Monat verschoben. Dreimal.

7. Im November gehe ich also zur Gastrologie, und inzwischen kann ich es auch kaum abwarten, dass das Ding weg kommt, aber nein, es gibt noch keine OP. Der Gastrologe muss die ja erst anordnen, und das kann er erst machen, wenn ich mich dafür entschieden habe, nachdem mir allemeine medizinischen Alternativen erklärt wurden.

8. Dafür muss ich ihm zum ixten Mal meine komplizierte Krankengeschichte der letzten 10 Jahre erzählen, meine Symptome auflisten, und überhaupt: Das steht alles in meiner digitalen Krankenakte, die ja angeblich Bürokratie abbauen und das Gesundheitswesen optimieren soll, warum rede ich mir den Mund fusselig? Der Gastrologe sagt, ich hätte zwei Alternative: Entweder operiert man die Gallenblase komplett raus, was unkompliziert sei, oder ich habe mein Leben lang Schmerzen. Ich entschiede mich weiterhin für Umschlag A, weg mit dem Ding. Jetzt muss er mir nur noch einen Termin für die OP geben, denke ich, aber das macht die Verwaltung, denn da sind ja noch die Anästhesie und eine Menge andere Leute beteiligt, und das ist kompliziert.

9. Es wird 2019, und ich warte immer noch auf einen OP-Termin. Weihnachtsessen habe ich mit viel Vorsicht überlebt, aber trotzdem bin ich 2-3 mal pro Monat um den Schlaf gebracht. Die Anfälle dauern inzwischen länger, bis zu 8 Stunden, und ich habe vom Hausarzt Voltaren gekriegt, wovon ich die doppelte verordnete Dosis nehme, weil es sonst nicht hilft. Ich verpasse viel Arbeit, weil ich nur tagsüber schlafen kann.

10. Ich habe plötzlich 2 Anfälle kurz hintereinander, und mein Voltaren neigt sich dem Ende zu. Ungeduldig rufe ich das Krankenhaus an, wann denn mein Termin kommen soll, und kriege die Antwort, dass da noch nichts passiert sei, die Planung für Q2 machen sie erst zeitnah. Ich frage, ob es nicht vielleicht eher geht, und kriege noch einen Termin für Mitte März! Toll. Aber vorher muss ich noch zu einem Pre-operativen Gespräch, wo mir erklärt wird, welche Verhaltensmaßnahmen für den Tag der OP gelten (fasten, wegen Vollnarkose) und ich mit der Anästhesei über meine Medikamente spreche (stehen die nicht in meiner Akte? Doch, ja, aber ist Vorschrift). Das Meeting kriege ich für Ende Februar in den Kalender, prima.

Tegnehanne: legemidler
Comic stolen from Tegnehanne, without permission.

11. Auf die zwei Anfälle folgen in der selben Woche noch zwei weitere, und es wird mir zu bunt. Ich rufe erneut das Krankenhaus an, und frage, ob sie nicht eine Liste mit Ernstfällen haben, falls ein Patient absagt, dass man da reinrutscht? Ja, die gibt es, aber ohne das Pre-Op Gespräch nützt es nichts, da drauf zu sein, und das habe ich ja noch nicht. Kann ich am Montag kommen dafür? Seltsam, plötzlich geht das schnell. Ja, klar.

12. Montag also zu dem Gespräch gegangen, Krankengeschichte, Allergien und Medizin aufgelistet,zum fünften Mal im Leben erklärt bekommen, wie eine Vollnarkose funktioniert, dass man sich vor der OP ordentlich waschen soll, etc. pp.

13. Dienstag kommt ein Anruf vom Krankenhaus: Ob ich Mittwoch morgen um 7:15 zu einer OP kommen könnte, sie hätten eine plötzliche Absage gekriegt. Plötzlich geht alles schnell, ich sage alle meine Vorhaben für die kommende Woche ab, sorge dafür, dass ich die Unterstützung habe, die ich nach der OP brauche, und packe für einen Tag ohne Übernachtung im Krankenhaus, esse noch was zu Abend, ehe das Fasten für die Narkose beginnt.

14. Mittwoch. Nach noch einer fürchterlichen Nacht (Pizza essen war wohl verkehrt, obwohl es bisher nie Probleme gemacht hat) erscheine ich um 6:30 mit dem ersten Bus am Krankenhaus. Von hier an bin ich in der Hand von Menschen, nicht Bürokraten und einem namenlosen “Krankenwesen”, und alles geht super schnell und professionell von der Bühne, mit sehr netten Krankenpflegern und Ärzten. Nachmittags holt mich A. nach der Arbeit ab, nachdem mir das Krankenhaus noch Medikamente und Pflaster mit Anweisungen auf den Weg gegeben hat. Nicht bücken, keine schweren Sachen heben, beim Essen vorsichtig sein, fettes Essen meiden, über die nächsten 4 Wochen langsam herantasten. Okay.

Ist das Gesundheitswesen Schuld, dass es so lange dauert? Erst einmal habe ich zu lange gewartet, ehe ich mich an meinen Hausarzt gewendet habe, danach habe ich viel Zeit verloren, weil mir nicht immer klar war, dass ich eine Überweisung brauche, oder wer jetzt gerade den Ball in seinem Feld hat – Hausarzt oder Spezialist? Das ist für einen Einwanderer ohne Vorwissen nicht immer einleuchtend. Dann dauert es wahnsinnig lange, Termine zu bekommen, die in der Regel mehrfach verschoben werden, aus “unvorhersehbaren” Gründen wie Urlaub. Und es gibt zu viele vorgeschriebene In-Person Meetings, was diesen Umstand noch einmal verschlimmert. Die sind aus einer Zeit vor der Digitalisierung, da bin ich mir sicher. Die angedachte Vereinfachung des Systems durch den Einzug der Computer hat noch nicht stattgefunden, glaube ich. Oder man traut dem Braten nicht.

Positiv ist für mich immer, dass in Norwegen jeder die Behandlung kriegen kann, die er braucht, egal was er für einen Job hat, ob er privat versichert ist oder nicht. Aber das wird halt auch damit erkauft, dass die Krankenhäuser viel zu tun haben, und man Einsparungen durch die Politik ziemlich direkt bemerkt. Unangenehm finde ich wie gesagt, dass man selber drängeln muss, damit sich was tut, und dass das dann klappt, heißt ja auch, dass man noch schlechter dran ist, wenn man es nicht tut, wie es eigentlich in meiner Natur liegt.

 

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